Ohne Titel - Sans Titre | Das Unsagbare 12 x im Fokus oder über das Zeigen im Werk
Unter Fotografen wie Künstlern gibt es zweierlei Sorten von Schöpfer: Die eine Sorte misstraut der Kraft der Sprache aufs Wort: Sie glaubt allein an das absolute Werk, das sich dem 'Sagen' völlig entzieht. Dies gelingt dem Werk sonders dort, wo es sich in Reinform als Bild pur 'zeigen' kann. Die andere Sorte Schöpfer indes traut der Sprache derart, dass sie dem Werktitel mitunter sogar die Hoheit der Deutung zumißt. Sie glaubt fest an die Vernunft im Diskurs. So sehr erstere dem Schweigen, dem reinen Zeigen zugetan ist, zollt letztere der Ratio und dem Sagen den Vorrang. Und engt so die Deutung genuin durch Erklärung ein. Diese Spezies misstraut dem Betrachter im offenen Kunstwerk, dem sie kein eigenes Urteil billigt.
Diese Ausstellung beschäftigt sich mit der Spezies Künstler, die sich dem reinen 'Zeigen' verpflichtet fühlt, deren Werk also hermetisch und ergo sprachlos, zudem oft rätselhaft bleibt. Zwölf Werke aus dem Sekundärmarkt werden erinnert und wieder entdeckt: Wie in einer Art Zeitkapsel haben diese begehrten und gesuchten Kunstwerke die Zeit marktfrisch überdauert. Während Hans Kupelwieser seine Fotogramme schlicht 'Ohne Titel' nennt und dem Betrachter überläßt, was er genau sehen will, zählt Beat Streuli etwa seine Werke profan mit Rautezeichen und Werknummer durch, indessen Jan Wenzel zwar gern in Werkserien denkt und plant, aber ungern Werktitel ausgibt, um seine Tableaus nicht semiotisch aufzuladen. Allein die Identifikation und Zuschreibung des Kunstwerks, meist lesbar als Werktitel in eckiger Klammer, verdankt sich der Banalität des Alltags. Für den Galeristen vor dem Verkauf heißt das: seinem Sammler tunlichst Name, Werk und Vita nennen. Reden also. Oft mehr als 1000 Worte sagt, nein zeigt, dem geübten Auge jedenfalls, ein Bild, ein Werk.
In dieser Ausstellung werden im Schauraum I 4 Fotografien von Beat Streuli aus der Schweiz neben 4 Fotogrammen von Hans Kupelwieser aus Österreich sowie 4 Polaroids aus dem Photomaton des Jan Wenzel aus Deutschland gezeigt. Das Unsagbare steht hier einmal mehr ganz im Fokus. So bildet das Lebenswerk dieser drei renommierten Fotokünstler kein Sagen, aber ein Zeigen pur ab, das die Reinheit und Totalität des Ikons im Schaffen jener Ausnahmetalente preist. Es geht also um den Verhalt von Bild und Text: Der Titel legt, da stets ein Text, das Werk aus. Der Text spricht. So kommt er zur Sprache.
Das Bild teilt sich indes stumm mit: als Blick, Geste, Mimik. Beat Streuli zeigt das bei einer Passantin im Stadtraum von Sydney im Jahr 2000. Das Porträt zeigt jene natürlich und nicht verstellt. Wie sonst? Sie ist ganz bei sich und zugleich auch fast außer sich, zumal sie sich unbeobachtet wähnt. In ihrem Staunen vollzieht sich sichtbar sprachlos - das Primat des Zeigens: Ihre Hand geht unwillkürlich zum Mund. Der ist halb geöffnet. Er rundet sich jäh zum "Oh" - in Verwunderung über ein Ereignis, dessen Zeuge sie im Stadtbild wird, das für den Betrachter jenseits des Bildraums stattfindet. So darf der Betrachter also gespannt sein, was er in der Schau im Werk sehen kann? Das Werk wird ihm antworten. Kann Kunst im Werk ihm dies sagen, dass sie sich offen für dessen Deutung im Verweis zeige? Ein Schelm aus der Antike gab da früh Antwort.
Das war Hermes. Und seine Rede fiel nach der Überlieferung höchst wundersam aus, noch bevor er nämlich als Säugling ein Wort richtig sprechen kann, ist dieser Tunichtgut gottlob um Ausreden nie verlegen: Hermes gilt also laut Mythos als Vorbild der Rhetoren, als Schutzgott aller Diebe, Gaukler, Händler, Hirten und Magier, der Redner und Spieler, Träumer und Trickser. Bald ward er Götterbote des Zeus im Olymp, bald führt er die Seelen der Toten zum Hades hinüber. Gekürt später zum Patron des Logos von 'Erklären' und 'Verstehen' sohin. Kunst und Wissenschaft berufen sich seitdem auf ihn. Der Sendbote der Vernunft erfand so die nach ihm benannte Hermeneutik: die Lehre von der Deutung aus dem Spiel. Wir ahnen: ob in der Kunst, dem Mythos, der Rede oder in der Polis. Da ist nur die Unmöglichkeit, zu sagen, was zu zeigen ist.
Abbildung: Jan Wenzel - Ohne Titel | Werk aus der Serie Bastler VI (2000) | Text: Klaus Kleinschmidt